April 2021

„Übersehen"

E-Rezept für Heil- und Hilfsmittel erst 2026 – Leistungserbringer haben das Nachsehen.
Mit dem PDSG, dem Patientendaten-Schutz-Gesetz, wird das E-Rezept in die deutsche Gesundheitsversorgung eingeführt. In Kraft getreten ist es im Oktober 2020 und regelt die Nutzung der elektronischen Verordnung bei verschreibungspflichtigen Medikamenten verpflichtend ab Januar 2022.

Die Einführungsphase des E-Rezepts beginnt bereits Mitte des Jahres. Ab dem 1. Juli 2021 können Ärzte ihren Patienten Verordnungen digital ausstellen. Damit wird das gedruckte E-Rezept in Papier
form zum Auslaufmodell.

Andere Leistungen, wie zum Beispiel Heil- und Hilfsmittel, sollen in Zukunft erst schrittweise durch das E-Rezept verordnet werden.

An die Telematikinfrastruktur werden bisher vorerst die Apotheken und Arztpraxen angebunden. Über die Telematikinfrastruktur wird unter anderem der Weg des Rezepts digital abgebildet und für die Beteiligten zur Verfügung gestellt.

Damit aber auch andere Leistungserbringer die digitale Verordnung übermitteln, empfangen und verarbeiten können, ist auch ihr Anschluss an die Telematikinfrastruktur unbedingt notwendig.
Diese soll mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz und dem Patientendaten-Schutzgesetz schrittweise ausgebaut werden.

Wer darf was? – Alles noch unklar

Um auf die Telematikinfrastruktur zuzugreifen, benötigen Anwender einen so genannten SMC-B, also einem Institutionsausweis. Damit authentifiziert sich eine Praxis oder Apotheke als Institution und kann so an der Telematikinfrastruktur teilnehmen.
Zusätzlich benötigen sie einen elektronischen Heilberufsausweis eHBA. Dieser authentifiziert die einzelne Person und gibt ihr die Berechtigung Daten, wie das elektronische Rezept, einzusehen, zu ändern oder zu signieren.

Für Ärzte oder Apotheker werden diese Ausweise von deren Kammern bei der Bundesdruckerei in Auftrag geben und ausgegeben. Sonstige Leistungserbringer, wie zum Beispiel Homecare-Unternehmen oder Sanitätshäuser, sind zwar teilweise in Innungen organisiert, jedoch nicht in Kammern, die alle Leistungserbringer abdecken.
Das erschwert die Organisation rund um die Ausgabe der Heilberufsausweise und so den Anschluss an die Telematikinfrastruktur. Dazu kommt, dass Mitarbeiter solcher Leistungserbringer häufig keine einheitliche Qualifikation wie Apotheker oder Ärzte besitzen.

Der Bundesverband Medizintechnologie schlägt deswegen schon seit längerem vor, andere Leistungserbringer allein durch eine Institutionsakkreditierung an die Telematikinfrastruktur anzuschließen. Dies scheint aber schwieriger als gedacht, da in diesem Szenario die Personenauthentifizierung durch den elektronischen Heilberufsausweis wegfallen würde. Der Institutionsausweis dient eigentlich zum Anschluss an die Telematikinfrastruktur und nicht als Mittel, das zum Einsehen von Daten berechtigt.

Mit Sicht auf den Datenschutz ist dieser Weg problematisch. Wer genau wäre in diesem Fall dazu berechtigt, Daten einzusehen? Diese Frage stellt sich aber auch ganz grundsätzlich, wenn es um die Ausgabe der Heilberufsausweise für Heil- und Hilfsmittelleistungserbringer geht. Das könnte auch ein Grund dafür sein, weshalb Leistungserbringer, wie etwa Homecare-Unternehmen, auf der Roadmap der Gematik als letztes an die Telematikinfrastruktur angeschlossen werden.

Ein wenig durchsichtiger ist die Lage zum Beispiel bei Logopäden oder Physiotherapeuten. Bei diesen Anwendern handelt es sich um eine überschaubare Anzahl von Praxen bzw. Personen mit einer einheitlichen Qualifikation. Dort sind Fachkräfte und Berechtigte klar identifizierbar.
Bei großen Homecare-Unternehmen mit über einhundert Außendienstmitarbeitern, häufig examinierte Krankenschwestern und zusätzlichen Mitarbeitern im Innendienst ist dies unklar. Wer darf oder muss dort berechtigt sein auf das E-Rezept zuzugreifen?

Elektronischer Berufsausweis als Übergangslösung?

Eine Übergangslösung könnte eine Abwandlung des elektronischen Heilberufsausweises, ein sogenannter elektronischer Berufsausweis sein, der Personen als Mitarbeiter eines medizinischen Unternehmens identifiziert. Damit könnten sonstige Leistungserbringer mit Freigabe des Patienten Daten einsehen, aber nicht ändern oder signieren. So hätten diese zumindest die Möglichkeit elektronische Verordnungen anzunehmen.

Das Kernproblem für Homecare-Unternehmen ist, dass der Prozess, in dem das Rezept vom Arzt zum Homecare-Versorger kommt, den Patient als solchen im Normalfall nicht einschließt. In der Regel unterzeichnen Patienten zu Beginn ihrer Versorgung einen Patientenauftrag, mit dem sie das Homecare-Unternehmen dazu berechtigen, ihre Rezepte in Empfang zu nehmen und anschließend abzurechnen.

Durch die Einführung des E-Rezepts müssten Rezepte spätestens ab 2022 aber primär vom Patienten empfangen werden. Ohne Zugriff auf die Telematikinfrastruktur könnten Homecare-Versorger ihren noch alltäglichen Prozess so nicht mehr fortführen.

Verzögerter Anschluss fordert Ausnahmeregel

Anfang März hat die Gematik bekannt gegeben, die Ausgabe der Heilberufsausweise und Institutionskarten für Anwender, die nicht in Kammern organisiert sind, selbst zu übernehmen. Damit sollen weitere Anwendergruppen, darunter später auch Heil- und Hilfsmittelleistungserbringer, Zugang zur Telematikinfrastruktur erhalten.

Jedoch zieht die Gematik hier andere Anwender vor. Zuerst werden ausländische Versandapotheken, wie DocMorris oder Shop-Apotheke sowie der Sanitätsdienst der Bundeswehr angeschlossen. Laut der aktuellen Planung dürfen Heil- und Hilfsmittelleistungserbringer 2024 an die Telematikinfrastruktur angebunden werden. Erst zwei Jahre später soll mit dem E-Rezept 5.0 die elektronische Verordnung für Heil- und Hilfsmittel eingeführt werden, so dass diese erst dann tatsächlich damit arbeiten können.

Durch diese Verzögerung fürchten viele Leistungserbringer eine bedingte Marktverschiebung hin zu den Apotheken. Denn unter die verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die ab 2022 verpflichtend über das E-Rezept, das ehemalige Muster 16, verordnet werden müssen, fallen beispielsweise auch Verbandsmittel oder Teile klinischer Ernährung. Dieser Marktanteil wird momentan hauptsächlich von sonstigen Leistungserbringern übernommen. Das E-Rezept hätte so das Potenzial, Apotheken bis zu deren Anschluss 2026, den Einstieg in lukrative Teile der Hilfsmittelversorgung zu ermöglichen.

Fraglich ist, ob es für diese Produkte eine Ausnahmeregelung geben wird. Denn laut dem Patientendaten-Schutz-Gesetz solle sichergestellt werden, dass die Telematikinfrastruktur für die Optimierung und Verarbeitung ärztlicher Verordnungen von Heil- und Hilfsmitteln sowie sonstiger nicht apothekenpflichtiger Medizinprodukte und bilanzierter Diäten zur enteralen Ernährung und weiteren Verordnungen in elektronischer Form erst genutzt werden darf, wenn diese flächendeckend für alle Leistungserbringer zur Verfügung steht. Für sonstige Leistungserbringer würde es sich jedoch lohnen, eine solche Ausnahmeregelung möglichst noch bis 2022 zu erwirken. Wären die genannten Produkte von der digitalen Verordnungspflicht ausgeschlossen, hätten zum Beispiel Homecare-Unternehmen weiterhin die Möglichkeit, Rezepte wie gewohnt in Papierform anzunehmen und abzurechnen. Da es bis jetzt dazu jedoch keine genaue Regelung gibt, ist eine Marktverschiebung trotzdem wahrscheinlich.

Es scheint, als hätten die Verantwortlichen Homecare-, Heil- und Hilfsmittelleistungserbringer schlichtweg nicht auf dem Schirm. Die Branche ist seit jeher ein Nischenmarkt im Gesundheitswesen, deren Bedürfnisse nicht gesehen werden – und so ist es auch in diesem Fall. Wie wichtig es ist, diese Leistungserbringer an die Telematikinfrastruktur anzuschließen, scheint den Verantwortlichen nicht bewusst zu sein. Im Gegensatz zu den Apotheken oder Arztpraxen herrscht eine große Unwissenheit darüber, dass Homecare-Versorger den Bedarf eines Patienten ermitteln, Versorgungen vorschlagen, Produkte liefern und den Patienten einweisen und permanent monitoren. Dazu kommt die fehlende Standesorganisation, sodass die Dimensionen, in denen diese Leistungserbringer an der Versorgung chronisch kranker Patienten maßgeblich beteiligt sind, übersehen werden.

Erfolgsfaktor IT – Wie die IT in verschiedenen Unternehmensbereichen zum Erfolg verhilft
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